Hase im Pfeffer

oder der Abschied der Familie Worka




Erste Folge


Das Volkspolizei-Kreisamt Belzig verzeichnet am 2. Oktober 1954 folgenden Eintrag in das Revierbuch: „In der Angelegenheit Worka ist von der SfS-Bezirksverwaltung Potsdam eine Hausdurchsuchung und Ausführen eines Haftbefehls für den 2.10.1954 angeordnet worden. Die betreffende Maria Worka geb. Fischer, wohnhaft Friedrich-Engels-Str. 77, Borkenweide wurde bei Vollzug dieser Maßnahme gegen 5.30 Uhr nicht angetroffen. Das Haus war festverschlossen, ebenso die Fensterläden. Die beteiligten Einsatzkräfte aus der Bezirksverwaltung Potsdam reisten ab und gaben uns auf, weitere Ermittlungen über den Verbleib der Worka und ihrer Angehörigen durchzuführen. Sämtliche Zugänge zum Haus der Worka wurden versiegelt.“

Einige Zeilen später findet sich der Eintrag: „im operativen Vorgang Worka bezeugte die Genossin Pfeffer bei der Befragung am Nachmittag, dass der Schrankenwärter Walter Barunke ihr gegen Mittag erzählte, dass er die Worka mit ihren Jungen am Abend des 1. Oktobers auf dem Bahnsteig gesehen habe, allerdings sei die Beleuchtung sehr schlecht gewesen und es war gegen neun Uhr abends schon absolut dunkel. Die weiteren Ermittlungen wegen Landesverrats gem. §§ 97 ff Strafgesetzbuch der DDR und Devisenvergehen werden von der SfS-Bezirksverwaltung Potsdam übernommen.“

Unterschrift ist unleserlich, die Abkürzung „HptWm“ weist auf einen Hauptwachtmeister der Deutschen Volkspolizei hin.


Einige Jahre später an einem regnerischen Apriltag des Jahres 1959 fällt durch den Briefschlitz einer Wohnungstür im 2. Stock der Krumme Straße 62 in Berlin-Charlottenburg eine Postkarte. Sie ist adressiert an: Frau Paula Wittkamp. Jene schon etwas verhutzelte Frau des Jahrganges 1890 besitzt gute Ohren, sie steht von Ihrem Platz an dem großen Eichentisch auf und geht zur Tür. Die Schrift auf der Karte kommt ihr bekannt vor. Zurück an den Esszimmertisch greift sie zur Brille, die stets auf dem braunen Klavier liegt. Der Absender lautet: Lieselotte Marschpanke, Im Fischgrund 1, Berlin-Frohnau. Frau Wittkamp freut sich, zu sich selber sagt sie:“ Wieder ein Zeichen von ihr, das war doch eine schöne Zeit in Borkenweide“. Sie liest den eng beschriebenen Text, aber stockt dann bei den Worten:“...Sie haben doch bestimmt die Anschrift von der Erna Spüllner, ich finde sie nicht mehr. Es wäre doch schön, wenn sie auch zu unserem Kaffeeklatsch nach Frohnau kommen würde, außerdem bringe ich noch jemand mit. Das ist aber eine Überraschung...“ Frau Wittkamp runzelt die Stirn: „Ausgerechnet die Spüllner“, murmelt sie, „die Adresse muss in dem alten Notizbuch sein, aber der Sechzehnte fällt auf einen Donnerstag, das passt ja gut, doch wer mag die Überraschung sein?“ Sie geht zu ihrem Vertikot, wo oben auf das Bild ihres Mannes thront. Ein Mann von etwa 45 Jahren in Briefträgeruniform schaut sie an. Sie zieht die Schublade auf und ein abgegriffenes Notizbuch mit grünem Einband liegt neben dem Mietbuch und dem Personalausweis. Sie blättert in dem Büchlein und unter dem Buchstaben „S“ findet sie: Erna Spüllner, Oberhofer Weg 7, Lichterfelde-Ost.

Da isse“, sagt sie zu sich und am Abend wirft sie zwei Postkarten in den Nachtbriefkasten. Eine Karte landet in einem Laden, in dem Schreibwaren und Zeitschriften angeboten werden. Dort arbeitet Erna Spüllner als Putzhilfe und der Briefträger ist froh, dass er nicht zu ihr in das oberste Stockwerk hinaufsteigen muss. Sie erhält eine kleine Rente, da ihr Mann bei dem Versuch in Borkenweide einen Brunnen in den märkischen Sandboden zu graben, eine erstklassige Erdbestattung erhielt. Sie überlegt, während sie den Wischlappen in den Eimer tunkt, dass sie sich am besten einladen lassen würde und die S-Bahnfahrkarte Preisstufe 3 ja immerhin 50 Pfennige für eine Fahrt betragen würde. „Das müsste es denen schon wert sein“, sagt sie zu sich selbst und schaut doch ängstlich um sich, ob das jemand im Laden gehört haben könnte. In der Mittagspause setzt sie sich hin und schreibt weisungsgemäß an Frau Marschpanke, dass sie ja so gern daran teilnehmen möchte, doch ihre kleine Rente ihr eigentlich so einen Luxus verbieten würde.


An diesem Donnerstag den 16. April 1959 scheint die Sonne, es ist frühlingshaft warm, das Thermometer klettert auf 17°C. In der Konditorei Hermann am S-Bahnhof Frohnau sitzen in dem renovierten Innenraum die Damen Marschpanke und Wittkamp, als die Tür der Konditorei sich öffnet und etwas atemlos Frau Spüllner hineinkommt. „Da ist sie ja, die Frau Spüllner, ruft Frau Marschpanke und erhebt sich, „schön, dass sie gekommen sind, sie sehen etwas abgespannt aus.“ „Ach ja“, entgegnet die Angesprochene mit matter Stimme, so viele Treppen vom Bahnsteig hinauf, erst in Lichterfelde-Ost und dann hier in Frohnau, das zehrt, eigentlich müsste ich orthopädische Schuhe haben – aber die sind für mich unbezahlbar.“ „Wollen Sie sich nicht setzen?“ fragt Frau Wittkamp, die von ihrem Sessel aus misstrauisch die „Spüllnern“ beäugt. „Ach Frau Wittkamp, jetzt sehe ich sie wieder nach so langer Zeit. Ich weiß noch, wie sie damals die Russen in ihrem Haus in Borkenweide ausräucherten.“ Frau Wittkamp muss lachen: „ Das war der Ofen, der so schlecht zog. Ich musste ihn wieder sauber machen und war im Gesicht und überall sonst schwarz. Als ein junger russischer Soldat zur Tür hereinkam, hat er einen Schreck gekriegt und ist gleich wieder raus.“ „Jetzt fehlt nur noch unsere Überraschung. Warten wir mal den nächsten Bus ab, unterbricht Frau Marschpanke. Nach etwa zehn Minuten kommt eine Frau um die Fünfzig zur Tür herein. „Ach, das ist ja Frau Worka!“ ruft „die Spüllner“ spontan aus. Frau Wittkamp ist erstaunt und gleichzeitig freudig überrascht: „Ich dachte sie sind noch in Borkenweide, habe öfter an ihre Jungen gedacht, wo kommen Sie denn her?“ Die Befragte gibt auch ihrer Wiedersehensfreude Ausdruck und entgegnet:“Ich wohne in der Lütticher Straße im tiefsten Wedding, aber hierher bin ich nur eine Hand voll Haltestellen mit dem 12er gefahren.“ Wir sind 1954 weg aus Borkenweide.“


Das wird uns Frau Worka bestimmt ganz genau erzählen“, wirft Frau Marschpanke ein, „aber jetzt suchen wir erst einmal den Kuchen aus.“

Die Damen verlassen die Sitzplätze und gehen zum Kuchenbuffet. Sehnsüchtig schaut Frau Spüllner die Auslage an und seufzt: „Herrliche Sachen, aber für mich unerschwinglich, ich glaube ich begnüge mich mit einem Plunderstück“. „Aber Frau Spüllner“, antwortet Frau Marschpanke gedehnt, „heute sind Sie mein Gast, denn ich habe doch diese Aktion geplant und da soll es doch nicht an Großzügigkeit mangeln.“ Frau Wittkamp gibt sich Mühe gute Miene zu diesem Spiel zu machen. Sie erinnert sich, dass „die Spüllnern“ schon immer groß im Abstauben war. In Borkenweide hatte sie es auf zwei KPM-Vasen, ein Hochzeitsgeschenk ihres Bruders abgesehen. Die Bedienung unterbricht aber ihren Gedankengang, sie bestellt ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte. „Ach, ich bin ja so dankbar für die Einladung, da nehme ich doch das große Stück Sachertorte mit Sahne bitte“, lässt sich Erna Spüllner vernehmen. Frau Worka wählte einen Apfelkuchen und ein Mandelhörnchen, das sie so leidenschaftlich gern äße, versicherte sie.


Zurück an dem Kaffeetisch herrschte Stille, außer dem Klappern der Kaffeetassen und einem Quietscher einer Kuchengabel auf dem Porzellan hörte man nur das Gemurmel der anderen Gäste. Frau Wittkamp fasste sich als Erste: „Das ist ein schönes Café hier und so geschmackvoll eingerichtet. Diese modernen Lampen passen sehr gut zur anderen Einrichtung.“ Frau Worka fügt hin zu: „Mein Andreas sagt immer dazu „Tütenlampen“, er arbeitet bei Möbel Kunst als Verkäufer. „Möbel Kunst, der wohnt, das weiß ich Blücherstraße zweiunddreißig“, trällert Erna Spüllner. Frau Wittkamp schüttelt den Kopf und schaut zu Frau Marschpanke, die gequält lächelt. Frau Worka lacht: „ Ja, das nenn' ich einen Ohrwurm, aber er verdient gut und ich kann das Geld noch gut gebrauchen, jedenfalls solange er noch bei mir wohnt. Mein Helmut ist ja bei Ebbinghaus und denkt schon ans Heiraten, aber so recht was hat er noch nicht gefunden“. Frau Wittkamp ist etwas ungeduldig: „Ich bin schon ganz gespannt, warum sie aus Borkenweide weg sind.“ Erna Spüllner nickt zustimmend.


Ich habe doch schon kurz nach der Währungsreform nach Arbeit in Berlin geschaut. Als Kriegerwitwe habe ich ja ganz schön zu knappsen und in Westberlin gab es vieles, wovon wir in Borkenweide nur träumen konnten, aber die Sachen mussten mit D-Mark bezahlt werden. Daraufhin habe ich mir bei einem Berlinbesuch eine Zeitung gekauft und die Anzeigen studiert. Da suchten sie eine Haushaltshilfe für alle Arbeiten. Das hatte ich ja gelernt in Hermannswerder, also schrieb ich einen Brief und warf ihn bei der Familie in den Briefkasten. Das war in der Nachodstraße in Charlottenburg, ein schönes Haus mit großen Wohnungen und die Familie wohnte im ersten Stock. Als ich gehen wollte kam eine elegante Frau zur Haustür herein, was man so 1948 elegant nennen konnte und fragte mich, ob ich etwas in den Briefkasten geworfen hätte und ich antwortete, dass es meine Bewerbung um die Stelle sei. Sie bat mich in die Wohnung, die sehr altmodisch, aber aufwändig eingerichtet war und wir gingen in die Küche. Sie erklärte mir, dass ihr Mann vorher einen hohen Posten am Gericht hatte und es nun jetzt so schwierig sei, wieder dort zu arbeiten, weil doch noch alles sich im Aufbau befindet. Sie erklärte mir gleich dass sie nicht viel zahlen können, aber jemand brauchen, der verschwiegen und absolut zuverlässig ist. Sie fragte mich dann über meine Vergangenheit aus, ob ich im BDM gewesen sei, als ich von Hermannswerder sprach, zuckte sie etwas aber meinte, da hätte ich ja eine gute Ausbildung genossen. Von da ab habe ich bei dem Herrn Dr.Löll und Frau zweimal in der Woche nach dem Rechten gesehen, jeweils einen ganzen Tag. Als dann der Herr Doktor Staatsanwalt benannt wurde, da verbesserte sich mein Gehalt. Am Ende verdiente ich 32 D-Mark im Monat.“


Frau Marschpanke fragt: „An welchem Gericht war denn der Herr Doktor Löll vorher?“ Frau Worka zuckt leicht mit den Schultern: „Er hat gemeint es wäre eine besondere Strafkammer gewesen. Viel geredet hat er nicht über seine Arbeit, doch sonst war er stets freundlich und zuvorkommend. Da fällt es mir ein, der Pfeffer habe ich mal was davon erzählt. Die wusste gleich, was das für ein Gericht war.“ Erna Spüllner antwortet sofort: „Na der Pfeffern ihr Mann war doch ein Obernazi bei dem ollen Heydrich.“ „Die Pfeffer hat immer erzählt, ihr Mann wäre bei einer Dienststelle für Volkskunde gewesen und nach dem Kriege, hätte er mit seiner Büromaus in den Westen gemacht, wo er heute noch lebt“, platzt es aus Frau Wittkamp heraus. „ Das war sowieso eine ganz hinterlistige Person“, fügt Frau Marschpanke hinzu, „ist gar nicht so lange her, da treffe ich sie am Flughafen Tempelhof mit zwei Koffern, sie warte auf den Abflug nach Hannover, durch die Zone könne sie nicht fahren, weil sie politisch verfolgt sei, durch diese Kommunisten.“ Erna Spüllner lacht laut, dass Frau Wittkamp zusammenzuckt. „Die hat sich doch, nachdem ihr Karl-Heinz verduftet ist, an den Bürgermeister rangemacht, der war doch auch erst Nazi und wurde dann über Nacht Kommunist, Genossin Pfeffer, wenn ich das schon höre.“ Frau Worka stimmt in das Lachen ein: „ Ja der Bürgermeister hat sich alle Leute notiert, die gegen die Vereinigung von SPD und KPD zur SED waren, da waren mit einem Mal eine ganze Menge Bürger verschwunden. Auch unsere Nachbarn von der Gartenrückseite.“ Frau Wittkamp hüstelt: „Sie meinen meine Nachbarn, wo der Junge immer über den Gartenzaun zu ihnen rüber kletterte?“ Frau Worka nickt: „Genau den Harald meine ich.“ Frau Wittkamp kann nicht an sich halten. „Seine Oma, die Panslersche, will nach Ostern mich besuchen.“ „Erzählen Sie doch weiter Frau Worka, was geschah dann?“ drängt Lieselotte Marschpanke. „ Ja, das war im Oktober 1954 kurz vor dem Jahrestag der Republik, am ersten, das war ein Freitag und ich hatte gerade den Lohn für September bekommen. Das waren wie immer 32 D-Mark und eine Quittung mit dem Stempel von ihrem Mann über 48 D-Mark. Das machte die Frau Löll immer so, weil sie sagte, sie brauche das für das Finanzamt und da wäre ja noch meine Verpflegung an den Arbeitstagen mit drin. Ich bin ganz normal mit der U-Bahn vom Viktoria-Luise Platz zum Innsbrucker Platz und dann mit der S-Bahn nach Wannsee. Da steht dann schon meist der Zug nach Belzig auf dem hintersten Bahnsteig. Wenn man häufig diese Strecke fährt, dann kennt man ja die Mitreisenden, darum war ich auch erstaunt als kurz vor der Abfahrt zwei Männer in den ollen Abteilwagen kommen und sich mir gegenüber setzen. Kaum war der Zug über den Teltowkanal gefahren, steht der eine auf und zeigt mir seinen Dienstausweis. Er schnarrt was von Kontrolle und ich soll ihm meine Tasche öffnen. Da findet er den Briefumschlag mit dem Geld und der Quittung. Der Andere steht da auch so bedrohlich vor mir und schnauzt mich an, dass ich ein Devisenvergehen begangen habe und das Geld beschlagnahmt ist. Das war ein harter Schlag für mich. Den Tränen nahe, sage ich, dass das mein ganzer Monatsverdienst sei. Der Eine zuckt nur mit den Schultern und leuchtet mit der Taschenlampe auf die Quittung. Der Andere schaut ihm über die Schulter und fragt, ob der Stempel von dem Gesuchten sei. Zur Antwort bekommt er, dass sie nun den Beweis hätten. Da steht der Zug mit einem Mal in Griebnitzsee. Ich war so aufgeregt dass ich das gar nicht mit bekam. Er muss schon länger dort gehalten haben. Es war so gegen dreiviertel sechs und es wurde schon richtig dunkel. Die Beiden nahmen den Briefumschlag mit Geld und Quittung mit und der Eine sagte noch in drohendem Ton, dass ich noch von Ihnen hören würde. Dann stiegen sie zur Abteiltür aus und schmissen die Tür zu. Ich sah noch wie der Andere dem Zugschaffner zurief, dass er jetzt abfahren könne. Ich war wie benommen.“


Die anderen Frauen schweigen eine ganze Weile, dann nimmt Frau Wittkamp einen Schluck Kaffee zu sich und meint: „Die scheinen sie ja regelrecht abgepasst zu haben.“ Frau Worka nickt: „Das ist klar wie Kloßbrühe. Die kontrollierten doch sonst kaum. In der ganzen Zeit bin ich drei Mal in eine Kontrolle geraten. Die haben mich gefragt wie ich bezahlt werde und ich habe treu und brav mein Sprüchlein aufgesagt von der Dienststelle, die das abrechnet. Zu Hause habe ich dann alles meinen Söhnen erzählt und ich musste so weinen. Da haben die mich getröstet und gemeint, wir müssten das ersparte Geld jetzt gut verstecken. Der Andreas ist so klug, der begeisterte Angler, obwohl wir keinen großen See in der Nähe haben, aber die fahren dann immer zu meinem Bruder nach Basdorf, das hatten die auch für das Wochenende nach dem Republikstag geplant.“ „Mutter“, meinte Andreas, „ich habe doch meine Maden in der alten Brotbüchse von Vater. Da kommen ganz unten die Geldscheine rein, die du im Wäscheschrank gespart hast und darüber Sand und denn die Maden. Das merkt kein Mensch.“ „Tolle Idee“, pflichtete ihm mein Ältester bei“.


Die Beiden machten sich sofort ans Werk, unsere Fensterläden hatten wir schon dicht geschlossen, da höre ich ein Klopfen an dem Fenster zum Garten. Noch einmal ziemlich eindringlich. Leise gehe ich zum Fenster öffne es und den Laden zur Hälfte, da ertönt eine leise heisere Stimme.“ „Frau Worka, verschwinden Sie so schnell es geht, da ist was böses im Gange, sie wissen gar nicht was wirklich los ist.“ „Wo ist was los?“ wollte ich noch fragen, aber es raschelte nur noch kurz und keine Antwort war mehr zu hören. Ich war sehr beunruhigt, sicher hatte ich einen dummen Fehler gemacht, aber das da etwas böses ins Rollen bringen sollte, schien mir übertrieben. Kurze Zeit später kamen Andreas und Helmut in unsere Küche, wo sich unser Leben meist abspielte“. „Mutti, das sind ja fast zweihundert Markl, was du gespart hast“, staunte Helmut. „Ich nickte. Dann berichtete ich von dem Vorfall. Wir schwiegen für eine kurze Zeit. Danach räusperte sich Helmut und als ob er noch in Gedanken war, hörten wir: „Das war es dann wohl, hier können wir erst einmal nicht bleiben. Viel Zeit haben wir nicht. Es ist gleich acht Uhr und kurz nach neun Uhr fährt der Zug nach Wannsee. Wir packen nur das Nötigste ein, wir können ja wiederkommen, wenn sich die Lage beruhigt hat. Ich nickte zustimmend. Andreas fiel ein: „Wir sagen einfach dass wir dieses Wochenende zu Onkel Siegfried nach Basdorf fahren. Wir nehmen unsere Angelrucksäcke mit und natürlich auch die Maden in der Büchse, die Ruten und keiner kommt auf die Idee, dass wir in Westberlin aussteigen. Ich war richtig stolz auf meine Jungs. So patent, ganz wie ihr Vater. Dann ging eine ziemliche Hetze los und endlich hatten wir das Nötigste beisammen, Helmut hatte eine Geheimtasche in seinem Rucksack eingenäht, wo wir das Kleingeld in ein Taschentuch eingewickelt rein taten. Das Haus verriegelten und verrammelten wir, obwohl ja nur ein paar Tage Abwesenheit eingeplant waren. Ich dachte mir, dass wir bei den Lölls wohl irgendein Unterkommen finden könnten. Wir gingen rasch die Friedrich-Engels-Str. zum Bahnhof. Glücklicherweise kannte ich den Bahnhofsvorsteher nicht und der neugierige Walter in seinem Schrankenhäuschen konnte uns gar nicht genau erkennen. Von Ferne hörten wir schon das Pfeifen und Läuten, der Zug war schon dicht an dem Feldweg. Als wir dann glücklicherweise im Abteilwagen saßen, traute sich keiner von uns was zu sagen, wir flüsterten nur, wenn es unbedingt sein musste. In Drewitz ging die Tür auf und ein Grenzkontrolleur schaute hinein. „So spät noch unterwegs, kann ich mal die Fahrkarten sehen?“ „Ich bemühte mich ganz ruhig zu bleiben und er schaute sie sich an“. „Nach Basdorf fahren Sie? Dann denken Sie daran, in Wilhelmsruh aus der S-Bahn in den Zug umzusteigen, der letzte Zug fährt nicht vom Nordbahnhof.“ Andreas platzte heraus: „Sie kennen sich aber gut aus. Wir fahren zu unserem Onkel. Wir schlafen gar nicht, sondern wollen ganz früh an den See.“ Der Beamte nickte zustimmend: “Deshalb habt ihr auch das Angelzeug mit. Was hast du denn da in der Brotdose, Verpflegung?“ Andreas wurde leicht rot und seine Stimme klang gepresst: „Da sind nur Maden drin, für die Fische.“ „Na dann zeig doch mal“, meinte der Grenzpolizist und kam einen Schitt näher, knipste die Taschenlampe an, während Andreas vorsichtig die Dose öffnete. „Meine Güte“, rief der Uniformierte aus, als er die vielen krabbelnden Maden erblickte. „Damit kannst du ja den ganzen See leer fischen. An welchen See geht ihr denn überhaupt?“

Da kam Helmut dem Andreas zu Hilfe:“An den Lubowsee, da gibt es Schleien, Karpfen, und Hechte.“ Der Beamte nickte erfreut: „ Das stimmt, da bin ich als Junge auch gewesen. Ich komme nämlich aus Wandlitz.“

Mich durchfuhr es heiß, hoffentlich wollte er mich nicht noch nach meinem Bruder fragen, denn den wollte ich in keinem Fall herein ziehen. Ich bemühte mich fröhlich zu klingen: „Was für ein Zufall, das ist ja ulkig.“ Er wandte sich mir zu und wollte wohl eine freundliche Miene machen, doch seine Augen waren kalt, das konnte ich sogar in der Dunkelheit sehen.“ „Ja, das ist ein Zufall, obwohl viele Leute mit dem letzten Zug meist nach Wandlitzsee fahren wollen. Die kommen aber nie dort an, merkwürdig nicht? Manche sieht man nach Jahren wieder, die waren aber an anderen Orten in unserer DDR gelandet. So ich wünsche noch eine gute Fahrt.“ Bei den letzten Worten fuhr der Zug in Wannsee ein. Dieses Mal hielt er nicht in Griebnitzsee, was auch dem Fahrplan entsprach. Wir sind dann schnell ausgestiegen, haben nichts gesprochen und durch die Unterführung zum Bahnsteig B, wo die Züge nach Erkner und Oranienburg abfahren“. „Ob der uns noch beobachtet, wenn wir in die S-Bahn einsteigen?“ fragte leise Helmut. „Ich schüttelte den Kopf, nein der kann uns ja gar nicht sehen. Tatsächlich fuhr der Zug pünktlich nach Belzig zurück und wir schauten auf den Bahnsteig C, der wie ausgestorben wirkte. Da kam auch schon der Zug nach Erkner. Nun man rein mit euch, trieb ich meine Jungs an. Die ließen sich das nicht zwei Mal sagen und wurden plötzlich putzmunter, obwohl es noch so spät war. Viel zu sehen gab es ja nicht, weil der Mondschein fehlte, so fragten sie bald, wo wir denn aussteigen würden. Ich wusste von der Bahnhofsmission im Bahnhof Zoo, wo die Interzonenzüge abfahren und versprach ihnen, dass wir da auch was zu Essen bekämen. Im Bahnhof Zoo bekamen wir freundliche Aufmerksamkeit und die Schwester von der Bahnhofsmission gab uns einen Teller Erbseneintopf mit Wurst, den meine Jungs ruckzuck verspeisten.“ „Als Ostzonenflüchtling müssen Sie sich aber in Marienfelde im Notaufnahmelager melden“, ermahnte mich die Schwester, „doch bis dahin sind es noch einige Stunden, sie können da hinten sitzen und bisschen dösen. Zum Morgen gibt es aber nur Muckefuck, jedoch dafür frische Schrippen.“


Das war das erste Mal, dass ich mich tatsächlich wieder als Flüchtling fühlte, so wie damals 1921, als Königshütte zu Polen kam.“ Der Bericht wird unterbrochen, weil die Serviererin eine Runde neuen Kaffee bringt. Erna Spüllner vergisst über die Erzählung sogar, den Bohnenkaffee zu preisen, weil sie doch nur Caro trinken kann, wegen der Rente. Sie fragt: „Wer hat Sie denn da denunziert?“ Frau Wittkamp hat sich längst eine Meinung gebildet: „Da gibt es gar nicht soviel zu überlegen, ich würde das der Pfefferschen durchaus zutrauen, wenn sie die Einzige war, die wusste, bei wem Frau Worka in Westberlin arbeitete.“ Frau Marschpanke schließt sich der Meinung an: „Die Frau Pfeffer war doch die Nachbarin von den Grünhardts, wo der Erwin bei der SS war.“ Dazu kann ich auch noch was sagen“, ergänzt Frau Wittkamp, „ das hat mir die Panslersche berichtet. Als der Erwin vor den Russen mit seinem Chef, dem Leon Degrelle flüchtete, haben sie in Grünhardts Garten eine tiefe große Grube ausgehoben und immer rin mit die Klamotten, die sie aus Polen mitbrachten. Die Pfeffer hat das spitz gekriegt und darum gebeten auch so eine schöne Grube zu bekommen, wo die doch gerade am Arbeiten sind. Das haben die dann zähneknirschend gemacht, doch eben nicht so tief und groß. Als dann die Russen kamen, war da auch so ein Trupp mit langen spitzen Stangen. Die haben sie in den Boden gepiekt, ob sie da auf was hartes stoßen. Bei Grünhardts haben sie nichts gefunden, doch bei der Pfeffern sind sie gleich fündig geworden und haben die Kisten mit ihrem Plunder ausgegraben. Da war die so sauer, dass sie zum russischen Ortskommandanten ging und die Grünhardts denunzierte. Von der SS hat sie nichts gesagt, denn die hatte ja selbst braunen Dreck am Stecken. Kurz darauf kamen die Russen mit einem Lastwagen, der mehrmals fahren musste, weil der Grünhardt solche Mengen vergraben hatte. Der Erwin Grünhardt ist dann sofort verschwunden, der kam immer nur heimlich bei Nacht.“


Die Pfeffern ist ja auch hinter jedem hinterher geschlichen, der in den Wald ging, weil sie die Pilzstellen auskundschaften wollte“, warf Frau Spüllner ein.


Frau Worka nimmt einen Schluck Kaffee, sie will etwas erwidern, doch Frau Marschpanke wirft ein: „Ach, Frau Worka, Sie haben sich bestimmt ganz heiser geredet. Wie wäre es mit einer Runde Eierlikör, der ist hier ganz ausgezeichnet.“


Die Kaffeerunde stimmt dem freudig zu und es ergeht eine längere Pause.
































Zweite Folge


Aaah, das tut gut, der ist ja ganz ausgezeichnet“, verkündet Erna Spüllner und leckt mit ihrer Zunge das Glas aus. Auch Frau Wittkamp kann sich eines zustimmenden Kopfnickens nicht enthalten. Frau Worka ergreift wieder das Wort: „Meine Jungen waren ja schon hin und wieder mit mir in Berlin, wenn wir etwas einkaufen wollten, aber weiter als bis Steglitz sind die nie gekommen. Die waren ganz überrascht von dem Verkehr vor dem Bahnhof Zoo, den Straßenbahnen und Bussen die dort hielten und wieder in andere Richtungen den Bahnhof verließen. Es war so gegen halb neun, also der Berufsverkehr fast vorbei, darum stürmten sie im 25er Bus gleich nach oben und setzten sich ganz vorn in die erste Bank. Sie waren von dem Doppeldecker ganz begeistert und konnten sich nicht satt sehen. Am Spichernplatz stiegen wir aus und am Ende des Platzes bogen wir links in die Nachodstr. ein. Die Uhr zeigte so kurz nach neun, und ich konnte sicher sein, dass wir am Samstag die Familie Dr. Löll nicht im Morgenmantel antreffen würden. In der Tat, die Wohnungstür wurde gleich nach dem Läuten geöffnet und Frau Löll sah uns sehr erstaunt an.“ „Wir hatten doch gar keine Verabredung heute Frau Worka und wie ich sehe haben Sie noch Verstärkung mitgebracht. Da bin ich aber jetzt überrascht.“

Frau Doktor Löll, ich kann das verstehen, aber es waren Ereignisse, die uns zu schnellem Handeln zwangen.“ „Wir mussten nämlich abhauen wegen Devisenvergehen und so“, entgegnete Andreas keck, „wegen des Westgeldes, was Mutti in der Tasche hatte von ihrer Arbeit bei Ihnen.“ „Das müssen wir doch nicht im Treppenhaus diskutieren“, äußerte sich Dr. Löll, der hinter seiner Frau stand, vernehmlich. „Natürlich“, versicherte Frau Löll, „kommen Sie doch erst einmal herein. Bei einer Tasse Kaffee können wir dann in Ruhe darüber sprechen.“ Frau Löll öffnete die Tür vollständig und wir zogen mit unserem Gepäck in die Wohnung. In der Küche versammelten wir uns. Lölls kauften immer Lensing-Kaffee, der ein starkes Aroma hat. Es duftete bald herrlich, als der Teekessel mit dem schrillen Pfeifen am Kochen war und ich die Kaffeekanne aufgoss. Nachdem ich dann den Tisch fertig gedeckt hatte, fragten Frau Löll, ob wir schon etwas gegessen hatten. Ich bejahte, aber die Jungen waren noch hungrig und verspeisten mit Genuss die Hörnchen. Langsam und ausführlich erzählte ich den Ablauf des Geschehens, was mich ziemlich aufwühlte. Dr. Löll nahm erst keine richtige Notiz von meinem Bericht. Auch die merkwürdige Botschaft aus dem Dunkel bewegte ihn nicht sehr. Dagegen war seine Frau sehr aufmerksam und stellte einige Fragen. Am Ende meines Berichtes meldete sich aber Helmut und fügte hinzu:“Mutti, du hast vergessen, was die Beamten im Zug sagten, als sie die Quittung sahen.“ „Doch nicht etwa die Gehaltsquittung?“ fiel Herr Dr. Löll ein. „Genau die“, triumphierte Helmut, „und das Schärfste war ja, dass der eine Beamte fragte, ob das der Stempel von dem Gesuchten sei und der Andere meinte sie hätten jetzt den Beweis.“ „Die Quittung hat man Ihnen nicht gelassen?“ bohrte Herr Dr. Löll nach. Sein Gesichtsausdruck hatte sich völlig verändert. Er schien bleich und sehr ernst. Ich schüttelte den Kopf, sie hätten ja alles beschlagnahmt. Frau Löll schien ratlos: „Ja wie soll es denn nun weitergehen? Sie haben ja nun gar kein Geld.“ Ehe ich noch etwas sagen oder gar unternehmen konnte, war Andreas von seinem Stuhl aufgesprungen und holte die Brotdose, welche an seinem Angelrucksack hing. „Mutti hat etwas gespart, wir haben das Geld aber gut versteckt. Hier schauen Sie mal, wo die Scheine wohl sein mögen? Da kommen Sie nie drauf!“ Er öffnete den Deckel und hielt der Frau Doktor die Dose unter die Nase. Sie schrie fürchterlich auf bei dem Anblick der Maden. Mein Gott war mir das peinlich, aber ich erstarrte fast vor Schreck. Helmut bemerkte dazu trocken: „Unter den Maden ist eine Sandschicht, darunter das Geld.“ Ich wäre am liebsten vor Scham in den Boden versunken. Hilflos schaute ich zu Dr. Löll. In seinem Gesicht zuckten leicht die Mundwinkel, er sah so aus, als müsse er mühsam ein Lachen unterdrücken. Er räusperte sich und fing sich schnell: „Sehr gute Idee, ich werde bei Ermittlungen in Zukunft auch an solche Verstecke denken. Das war klug gewählt. Doch nun entschuldigen Sie mich bitte, denn sie wissen ja, dass meine Mutter kränkelnd ist und ich sie jetzt anrufen muss.“ Dann schaute er seiner Frau eindringlich in die Augen, die dann zustimmend nickte. Das Ehepaar verließ die Küche um in das Arbeitszimmer des Doktors zu gehen. Die Arbeitszimmertür blieb aber einen Spalt offen. Ich nahm mir fest vor, später ein ernstes Wörtchen mit meinen Jungen zu wechseln.“


Köstlich, Frau Worka, ich stelle mir das wie so in einer Filmszene vor. Der Andreas mit der Dose und die Frau Löll aufkreischend.“ unterbricht Frau Marschpanke den Vortrag. „Bliebe nur die Frage, warum, der Löll so nervös wurde, rätselt Frau Spüllner. „Die feine Dame ist wohl nie Pilze sammeln gegangen, da schaut man doch nach, ob der Pilz Maden hat.“ Paula Wittkamp ist verständnislos. „Na die Maden zum Angeln sind aber viel größer“, gibt Lieselotte Marschpanke zu bedenken.


Frau Worka fährt fort: „Es war ja nicht wegen der Maden, sondern da gab es auch noch einen anderen Punkt, doch das werde ich wohl nie herausfinden. Nach kurzer Zeit meldet sich mein Helmut: „Ich muss mal ganz dringend. Wo ist denn hier die Toilette?“ Da bin ich aufgestanden und zeigte ihm die Tür zum Gästeklo. Das war ja eine richtig hochherrschaftliche Wohnung, die die Lölls hatten. Das Ehepaar Löll schien länger im Arbeitszimmer sich zu beraten, als Helmut an den Tisch zurückkehrte, wollte er mir etwas flüstern, doch ich wehrte ab. So was ist doch unfein. Dann kam auch schon das Ehepaar zurück in die Küche. „Ach liebe Workas“, begann der Doktor, „es sieht heute gar nicht gut aus mit meiner Mutter. Am Telefon machte sie so einen gebrechlichen Eindruck. Wir rufen gleich eine Taxe um sie zu besuchen. Sie müssen ja sowieso in das Notaufnahmelager nach Marienfelde. Wegen der Anerkennung als Flüchtling. Sie bekommen dann dann ja auch eine Wohnung und die Jungen müssen zur Schule. Ich schreibe Ihnen einen kurzen Revers auf meinem Briefbogen und die Anschrift dazu. Das Notaufnahmelager ist leicht zu finden. Sie müssen nur bis zu dem S-Bahnhof Marienfelde fahren. Dann wird Ihnen weiter geholfen.“ „Kriegen wir auch Ihren Stempel darauf?“ fragte Andreas. Helmut setzte fort: „Der scheint ja sehr begehrt zu sein.“ Ich musste lachen, doch das Ehepaar verzog keine Miene. Darum schob ich gleich eine Frage nach: „Wegen nächster Woche, bleibt es so wie bisher?“ Frau Doktor lächelte gequält: „ Am besten rufen Sie uns an. Die haben dort bestimmt eine Telefonzelle und Ihr Geld ist ja so gut aufgehoben, dass Sie ganz viel telefonieren können.“ Dr. Löll kam zu Hilfe: „Ja, wissen Sie, der Zustand meiner Mutter bereitet uns erste Sorgen. Wir müssen in der nächsten Woche sehen wie die neue Planung aussieht. Doch dafür gibt es ja das Telefon.“ Der Abschied war kurz und schmerzlos. Meine Jungen polterten die Treppe hinunter, dass man meinen konnte, sie wären zufrieden das Haus verlassen zu können.“


Das war ja ein Rauswurf erster Klasse“, kommentiert Paula Wittkamp. „Dann sind Sie schnurstracks nach Marienfelde gefahren?“ Die Spüllnern fühlt sich auf die Folter gespannt. Frau Worka nickt: „Ja, der Einfachheit halber sind wir zum Viktoria-Luise-Platz gelaufen und mit der U-Bahn zum Innsbrucker Platz, dann mit der Ringbahn bis Papestr. und von dort Richtung Marienfelde. U-Bahn fanden die Beiden nicht so aufregend, weil man da nichts sähe außer Finsternis, äußerte sich Andreas. Dafür rückte aber Helmut mit seiner Meinung raus: „Die wollten uns ganz schnell loswerden. Ich bin, als ich aus dem Klo kam, auf Zehenspitzen ganz langsam gegangen und konnte hören, was die Beiden sprachen. Von seiner Mutter ganz gewiss nicht. Das waren Worte wie: „Die müssen hier ganz schnell weg.“ „Meinst du die haben was über dich herausgekriegt?“ fragte die Frau Löll. Er ganz leise: „Dahinter steckt die Staatssicherheit.“ Frau Löll wieder: „Ich habe es immer geahnt, dass die darauf kommen.“ Er wieder ganz leise, kaum zu verstehen: „Die haben keine Akten, sind alle verbrannt.“ Dann musste ich ganz schnell in die Küche zurück, weil die das Zimmer verlassen wollten.“ Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich verstand nur Bahnhof, auf dem wir nun schon standen und die S-Bahn bereits in den Bahnsteig einfuhr. Die Jungen eroberten sich einen Fensterplatz, denn die S-Bahn war schon richtig voll. Sie waren von den Gütergleisen und dem Reichbahnausbesserungswerk Papestraße so angetan, dass sie keine Lust mehr verspürten zu unserem Besuch in der Nachodstr. etwas zu sagen. Besonders hatte ihnen es das Gaswerk Marienfelde angetan, wo Dampflokomotiven Waggons mit Koks zogen und die riesigen Gasbehälter Respekt forderten. Als wir den Zug im Bahnhof Marienfelde verließen, da sahen wir auf einmal viele Menschen mit Koffern, verschnürten Kartons, Reisetaschen, die mit uns den Bahnhof verließen. Kinder waren darunter, anscheinend komplette Familien. Sie alle gingen in dieselbe Richtung. Es sollte auch unsere sein, als Andreas die Blumenverkäuferin im Bahnhofsgebäude fragte, erhielt er den Hinweis immer der Herde hinterher zu ziehen. Nach einem Fußmarsch erblickten wir ein eingezäuntes Gelände, wo sich dreistöckige moderne Häuser um einen Platz erstreckten. Wir passierten das Tor und hatten uns in einer langen Schlange anzustellen. Das Wetter war regnerisch und kühl, hin und wieder kam die Sonne durch, doch wir hatten unsere dicken Jacken an, sodass wir es ganz gut aushielten. Die Zeit schien sich endlos dahin zu ziehen. Endlich waren wir an der Reihe. Ich legte meinen Ausweis, Rentenpapiere und das Schreiben des Herrn Doktor vor. Man warf nur einen kurzen Blick drauf und meinte: „Det nützt Ihnen hier janischt. Se werden hier brav ihre zwei Wochen absitzen und denn dürfen Se raus. Um zehn Uhr abends aber ist Zapfenstreich, da müssen Se uff ihr Zimmer sein. Se kriegen von wegen Familie ein Zimmer, obwohl Se ja nur drei Personen sind. Kommt Ihr Mann nach?“ Ich schüttelte den Kopf. Beklommen antwortete ich: „Mein Mann kommt nie mehr nach“, und wies auf die Rentenpapiere. „Na det hätten Se aber jleich sagen müssen. Nun muss ick noch mal von Vorne den Mantelbogen neu ausfüllen. Wir ham hier wat besseres ze tun. Sehn Se ja, die Schlange draußen, die wollen hier ooch alle rin.“ Nach einiger Zeit wurde uns der weitere Weg durch die Büros gewiesen und gegen Mittag bezogen wir ein kleines Zimmer mit zwei Doppelstockbetten. Wie ich dann erfuhr, war das ein echter Luxus, der sonst nur werdenden Müttern zuteil wurde. Also schien das Schreiben des Herrn Doktor doch gewirkt zu haben. Lästig waren dagegen die Befragungen. Regelrechte Verhöre waren das, aber ich habe immer nur wieder dieselbe Geschichte erzählt. Mehr war ja nicht vorgefallen. Zwischendurch versuchte ich in der darauffolgenden Woche bei dem Herrn Doktor anzurufen, doch da hieß es, die Lage wäre noch unklar, ich müsse mich etwas gedulden.“ „Mutti, von dem kommt nichts mehr, such dir lieber woanders Arbeit“, ermunterte mich der Helmut. Nach dem wir das Lager verlassen durften, rief ich vom Postamt aus an, das war bequemer, als immer in der Schlange zu warten und wenn dann das Gespräch nicht zustande kam, sich wieder hinten anstellen zu müssen. Es waren nun schon zwei Wochen vergangen und ich dachte, jetzt müsste sich die Lage ja gebessert haben mit der kranken Mutter. Doch war ich überrascht, als am Ende sich eine fremde Frauenstimme meldete. Ich bat die Frau Doktor zu sprechen. „Die Frau Doktor ist nich da und ick wees nich wann se wieder kommt. Ach ja und morjen wollen die Herrschaften nach Frankfurt verreisen, keene Ahnung wann se wiederkommen. Müssen se sich mal een paar Tage jedulden. Ick kann nischt sagen dazu, ick bin hier bloß die Putzfrau.“ Aber deutlich hörte ich die Frau Löll, wie sie der Putzfrau Anweisungen zu ihren Antworten gab. Mein Sohn Helmut hatte doch recht behalten.“


Frau Wittkamp fasst sich als erstes: „Mich erstaunt das nicht, denn ich glaube, dass Ihr Sohn ein feines Gespür hatte, als er meinte, die Lölls wollten Sie loswerden.“ Erna Spüllner mischt sich ein: „Na bei so hochstehenden Leuten zählt ja auch eine Hausdame nicht viel und Sie scheinen daher eher als Putzfrau beschäftigt gewesen zu sein, trotzdem stinkt da etwas. Vielleicht ist aber auch der Hase im Pfeffer bei der Person gleichen Namens.“


Bis heute habe ich das nicht rausgekriegt, aber ich habe nur später einmal in der Zeitung von einem Oberstaatsanwalt Dr. Löll gelesen. Vielleicht hing das mit seiner Beförderung zusammen. Jedenfalls war ich niedergeschlagen, als meine Jungen mich plötzlich fragten, ob ich mich an den Harald erinnern könne. Natürlich war der kleine aber pfiffige Junge, der ein Jahr älter als mein Helmut war, mir ein Begriff, doch der Nachname fiel mir nicht ein. Aber seine Urgroßmutter eine stattliche resolute Frau lebte während der Bombenangriffe in dem Nachbarhaus, weil sie in Berlin ausgebombt waren. Die alte Frau Haniel war eine zu gütige Frau und ihre Töchter bis auf Frau Pansler nicht verheiratet. Das erzählte ich den Jungen und erinnerte mich noch, dass die eine Tochter Schneidermeisterin wäre. Da hatten die Beiden doch nichts besseres zu tun als zum Postamt zu rennen um dort die Telefonbücher zu wälzen. Zum Abendessen kamen sie mit stolzgeschwellter Brust daher und verkündeten, dass sie die Familie herausgefunden hätten. Begeistert erzählte Andreas, wie sie es anstellten. Sie waren auf eine Hildegard Haniel, Damenoberbekleidung gestoßen.“ „Die wohnen gar nicht so weit weg“, meinte Helmut, „ich habe mich auch schon erkundigt, wie wir nach Lichterfelde kommen.“ „Ich habe dem Helmut vorgeschlagen, dass wir dort ganz einfach anrufen und fragen, ob wir den Harald sprechen könnten“, setzte Andreas, stolz wie Oskar dazu. „Es ging eine Frau ans Telefon und ich stellte uns vor. Die Frau konnte sich sogar an uns erinnern und erzählte, dass der Harald wohl im Moment nicht im Hause sei, weil er auf eine Fachschule ginge. Dann schlug sie uns vor, ob wir nicht am Sonntag um vier Uhr zum Kaffee kommen wollten, dann wären sie vollzählig.“ „Ich war tief bewegt von der Aktion meiner Söhne und dann beratschlagten wir, was wir zu dem Besuch mitbringen sollten. Wir haben uns richtig darauf gefreut.“


Wo war denn die Panslersche?“ fragt Frau Wittkamp. Frau Worka schüttelt den Kopf. „Keine Ahnung, das hat mich auch gewundert, es hieß sie sei verreist und käme wohl so schnell nicht wieder. Ich einigte mit meinen Jungen auf einen großen Blumenstrauß, denn bestimmt hatte die Familie schon alles...“ „Und Blumen machen nicht dick, hähähä“, unterbricht die Spüllnern. Frau Marschpankle zieht leicht die Augenbrauen in die Höhe: „Wie ging es denn weiter bei diesem Besuch?“ „Also wir saßen dort im großen Zimmer und die Einrichtung war sehr geschmackvoll, nicht modern, eher zeitlos. Die alte Frau Haniel schien so ein wenig den Vorsitz zu führen. Nachdem ich nun ausführlich aus Borkenweide berichtet hatte und wie es zu unserer Flucht kam, meine die alte Dame: „Das ist gar nicht schlecht, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben.“ Doch weiter konnte sie nicht sprechen, denn die eine Tochter fiel ihr ins Wort: „So, Helmut und Andreas, ich denke der Harald ist jetzt da. Ihr müsst eine Treppe höher gehen und auf der rechten Seite klingelt ihr an der Wohnungstür. Dann könnt ihr euch mit ihm unterhalten. Denn jetzt wird es bestimmt langweilig für Euch, worüber wir nun sprechen wollen.“ Das ließen sich die Jungen nicht zwei mal sagen und man hörte sie die Treppe hinaufrennen.


Jetzt wandte sich die Frau Hildegard Haniel an mich: „Frau Worka, Sie haben ja nur die vordere Wohnung gesehen, im Seitenteil haben wir zwei Arbeitszimmer, wo unsere Damen mit der Herstellung modelliger Kleider beschäftigt sind. Meine Schwester führt die Buchhaltung und es geht bei uns oft sehr hektisch zu. Dennoch empfangen wir hier in diesen Räumen auch Geschäftspartner, so dass es immer picobello sein muss. Wir benötigen jemand, der sich um die Räume kümmert, in der Küche nützlich macht und unserer Mutter in ihrem Alltag zur Hand geht. Sie verstehen, dass wir dazu eine Vertrauensperson brauchen und wir kennen Sie ja noch aus Borkenweide, wir brauchten Sie von Montag bis Freitag für etwa fünf Stunden pro Tag.“ Ich traute meinen Ohren nicht und verglich den Verdienst bei der Doktorfamilie mit dem zu erwartenden Lohn. Freudig stimmte ich dem Vorschlag zu. Dann bat mich die andere Schwester zu sich in ihr Büro, das ursprünglich die Mädchenkammer hinter der Küche war und besprach mit mir die wichtigsten Dinge. Sie meinte auch, man müsse dem Wohnungsamt anzeigen, dass für uns eine Notlage vorläge, damit wir schneller eine Wohnung kriegen würden. Ich konnte es kaum fassen. Wir verabredeten uns für den folgenden Dienstag zur Einweisung und weiteren Planung.


In der Zwischenzeit kehrten Helmut und Andreas zurück und waren begeistert.“ „Du, Mutti“, rief der Andreas, „ der Harald hat einen klitzekleinen Bruder, der ist jetzt ein Jahr alt. Er heißt Günter.“ „Hat denn die Frau Pansler wieder geheiratet? Und dann in dem Alter noch Nachwuchs.“ platzt es aus der Spüllnerschen heraus. „Ach was,“ entgegnet Frau Wittkamp unwillig, „der kleine Bruder ist doch der Sohn von der Tochter.“ „Die war doch aber auch Kriegerwitwe“, zweifelt Lieselotte Marschpanke. „Natürlich“, bestätigt Paula Wittkamp, „sie war zwar sehr umgänglich gegenüber Anderen, aber mit Männern hatte die nichts am Hut. Nur die Panslersche hat immer geredet, dass sie doch noch viel zu jung sei um als Witwe zu versauern. Dann kam da so ein Hallodri, ein Ingenieursstudent aus Leipzig, der schon mal verheiratet war, na ja. wie es dann so geht, der hatte eine neue „Verlobte“ fernab bei Braunschweig als Lehrerin und verlustierte sich mit der Tochter der Panslern, was ja denn nicht ohne Folgen blieb, wie man sieht. „Ach und dann hat er sich bestimmt verkrümelt“, unterbricht Erna Spüllner. „Sie sagen es“, antwortet Frau Wittkamp ungerührt.


Frau Worka nickt und fährt fort: „Als wir zurück ins Lager fuhren, da waren meine Jungen ganz ausgelassen und ich überlegte nun wie wir möglichst schnell zu unserer Anerkennung als politische Flüchtlinge kämen. Doch das zog sich noch hin und wir mussten noch fast vier weitere Wochen warten, bis uns dann eine Wohnung in Steglitz angeboten wurde. Zwei kleine Räume im Hinterhaus und Klo eine halbe Treppe tiefer. Aber es war ein Anfang. Die Arbeit bei Familie Haniel war sehr angenehm und man hat das Gefühl zur Familie zu gehören. Die Frau Pansler habe ich erst ein Jahr später wieder gesehen. Sie ist durch ganz Deutschland gereist um die Familienangehörigen, die weit vertreut waren zu besuchen und wieder Kontakte herzustellen.“

Jetzt hat sich Frau Worka müde geredet und schaut in ihre leere Kaffeetasse. Das bemerkt Lieselotte Marschpanke, deren Informationsdurst gestillt wurde. „Meine Damen, so jung wie heute kommen wir nie wieder zusammen. Ich spendiere uns allen ein Gläschen Sekt, damit wir wieder etwas belebt werden.“ Ihr ist der Beifall der Anderen sicher. Jetzt setzt allgemeines angeregtes Geplauder ein, bis die Serviererin mit den Sektgläsern naht. Frau Marschpanke erhebt ihr Glas: „Wir trinken heute auf das Wohl von Familie Worka, die sich so tapfer geschlagen hat und wünschen uns alle Gesundheit!“ „Prost“, trompetet Erna Spüllner und Frau Wittkamp denkt: „Hoffentlich schmeißt die nicht auch noch das Sektglas an die Wand.“ Diese Angst ist unbegründet, doch der Sekt hinterlässt Spuren. die Augen der Frauen beginnen zu glänzen und noch einmal wird die Szene mit Frau Dr. Löll und den Maden eingehend erläutert und belacht.


Frau Worka allerdings erhebt sich nach einer Weile und bedankt sich: „Diese Einladung Frau Marschpanke war sehr schön, selten habe ich wieder so unbeschwert mich im Kreise alter Bekannter bewegen dürfen.“ „Das stimmt“, ruft Frau Spüllner begeistert, „Oh oh, es ist ja schon gleich dunkel und ich muss noch nach Lichterfelde-Ost, wo doch so viel passiert da draußen.“ Paula Wittkamp ringt sich dankbare Worte für den schönen Nachmittag ab. Sie denkt sich,das dieser ohne die Spüllnern erst so richtig gelungen wäre. Mit einem Mal schaut Erna Spüllner in ihr Portemonnaie und ruft entsetzt. Ach du liebe Güte, ich hatte doch noch ein Fünfzig-Pfennig Stück für die Fahrkarte nach Hause eingesteckt, es muss mir rausgefallen sein als ich die Fahrkarte knipsen ließ.“ Frau Worka nimmt die auf dem Tisch stehende Untertasse und meint scherzend: „Dann sammeln wir doch das Dankopfer für Frau Spüllner ein.“ Sie legt zwei Groschen auf die Untertasse, Frau Marschpanke klaubt ebenfalls zwanzig Pfennig aus ihrer Geldbörse zusammen, während Frau Wittkamp lange und umständlich sucht und mit einem diabolischen Lächeln ihren Beitrag kommentiert: „Ach ich habe nur einen Sechser, so etwas dummes aber auch“, während sie ein Fünfpfennigstück dazulegt. Frau Worka will dem Spiel ein Ende bereiten und legt noch einen Groschen dazu. Erna Spüllner strahlt. Ihre Strategie ist aufgegangen und sie bedankt sich mit einem: „Es ist doch schön, wenn man wahre Freundinnen hat, das gibt es heute so selten.“


Wenig später bricht der erlauchte Kreis auf, nachdem Frau Marschpanke mit der Serviererin abgerechnet hat. Abgerechnet Hat Frau Wittkamp mit der Spüllnern noch lange nicht. Zwei Wochen später schildert sie Frau Pansler den ganzen Verlauf des Nachmittags und betont den Schluss ganz besonders. Die Emma Pansler nickt dazu beifällig und empört sich: „Also diese Spüllnern, das ist ja so eine raffinierte Person, so was von ausgekocht, das ist typisch für die, Frau Wittkamp.“


Was allen an dieser Begebenheit Beteiligten entgangen ist, das ist natürlich ein streng geheimes Fernschreiben und zwei Zeitungsmeldungen aus dem Juni 1955.


Fernschreiben mit dem Absender: SfS – Hauptverwaltung, Berlin-Lichtenberg


an: Bezirksverwaltung Potsdam des SfS

vom: 12. Juni 1955

Status: streng vertraulich

Betr.: operativer Vorgang „Worka“


In der Sache Worka ist nachstehende Entscheidung ergangen.

Die Pressemitteilung an den Chefredakteur der „Märkischen Allgemeine“ betreffend Dr. Hans-Günther Löll und seine Tätigkeit als Staatsanwalt am Volksgerichtshof hat unverzüglich vernichtet zu werden. Die Bekanntgabe des Inhalts wird untersagt. Die Hauptverwaltung wird diese Information zu gegebener Zeit selbst verwenden und gegebenenfalls veröffentlichen. Die nachstehende Presseinformation ersetzt die zu vernichtende Mitteilung. Sie ist der Redaktion am 15. Juni vor Redaktionsschluss zu übermitteln.

Der operative Vorgang „Worka“ wird hiermit als abgeschlossen betrachtet und die Person Maria Worka als „Republikflüchtige“ weiterhin beobachtet und bei Betreten des Gebietes der DDR strafrechtlich verfolgt.


gez.


unleserlich, da dass Fernschreiben wohl unachtsam von der Rolle abgerissen wurde.

In der Meldung der Berliner Zeitung die „nacht-depesche“ vom Anfang Juni heißt es:


Mutmaßliche Zonenagenten auf freiem Fuß

Wie die Pressestelle des Berliner Kammergerichtes mitteilte,

hat der Staatsanwalt Dr. Löll überraschend die Freilassung der zwei verhafteten

Ostzonenspione verfügt.  Im August 1954 waren in der Nähe des

Fernamtes Winterfeldstr. zwei Männer in einem Zelt der GASAG

auf dem Bürgersteig aufgefallen. Angeblich hätten Sie im Auftrag

der Gasanstalt Arbeiten an der Rohrleitung durchgeführt. Gleichzeitig

mit dem Gasrohr verlaufen auch die Telefonleitungen des Fernamtes in

diesem Wartungsschacht. Der Hinweis eines zufällig vorbeikommenden

Mitarbeiters des Fernamtes führte zur Verhaftung der beiden Männer.

Offenbar hatten sie sich mehr für die Telefonleitungen als für das

Gasrohr interessiert. Die Gasag bestätigte jedoch, dass gelegentlich

auf Ostberliner Kräfte zurückgegriffen würde, wenn sie entsprechende

Ortskenntnisse besitzen.

Der untersuchende Staatsanwalt ließ verlauten, dass erhebliche Zweifel

an der Täterschaft der zwei Männer bestünden, vor allen Dingen seien

sie bei der Gegenüberstellung von den zwei Zeugen nicht eindeutig

identifiziert worden. Auch konnte bei der Untersuchung des Tatortes

keine Spur einer Manipulation an den Telefonleitungen festgestellt werden.


Die andere Meldung ist ein Abdruck der folgenden

Pressemitteilung der SfS Bezirksverwaltung Potsdam an Arno Mielatz, Märkische Volksstimme vom 15.6.1954



scheinbar harmlose Putzfrau wegen Landesverrat verurteilt

Am 15. Juni verkündete das Bezirksgericht Potsdam das folgende Urteil über die wegen

Landesverrat angeklagte Maria W. aus dem Kreis Belzig. Sie wurde eindeutig des Landesverrates gem. § 97 des StGB der DDR überführt. Die Mutter von zwei Jungen hatte sich aus Geldgier in Westberlin von einem Mittelsmann des amerikanischen Geheimdienstes anwerben lassen. Zum Anschein übte sie eine Tätigkeit als Putzfrau bei dem Mittelsmann aus.

In Wirklichkeit bestand ihr Auftrag militärische Objekte, auch unserer sowjetischen Bruderarmee zu beobachten und wenn möglich zu den Angehörigen der dort Beschäftigten ein freundschaftliche Verhältnis zu pflegen. Jedoch verriet sie sich durch eine unbedachte Bemerkung gegenüber einer im Klassenkampf bewährten Genossin, die umgehend von dieser gefährlichen Agententätigkeit den Sicherheitskräften unserer Republik berichtete. In unverbrüchlicher Treue zu unserem sowjetischen Brudervolk zeitigte die vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie unser Arbeiter- und Bauernstaat  sich gegen die ständige Wühlarbeit der imperialistischen Kräfte der Amerikaner und ihrer Vasallen zu wehren weiß. In  kurzer Zeit konnte der Mittelsmann der CIA enttarnt und für die Täterin eine Falle aufgestellt werden. Auf frischer Tat wurde sie im Zug von Westberlin nach Belzig festgenommen und verhaftet. Die Hausdurchsuchung offenbarte wieder einmal, wie politisch unsichere Bürger den Verlockungen der Scheinwelt des Westens erliegen können. Dieser Gefahr setzen sich immer wieder DDR-Bürger aus, die wegen weniger Westmark sich bei den Kapitalisten in den Westsektoren Berlins verdingen.

Die umfassend geständige Angeklagte wird nun Gelegenheit erhalten den großen Schaden, den sie unserer Republik zufügte in einer Hafteinrichtung wieder gut zu machen. Der Vorsitzende des Bezirksgerichtes verkündete in seinem Urteil, dass durch die langjährige Dauer dieser Tätigkeit und des Geständnisses erst in letzter Minute eine Haftstrafe von 11 Jahren angemessen sei.

Die Verurteilte hat also genügend Zeit um über ihre Missetat nachzudenken und den Bürgern und Bürgerinnen unseres sozialistischen Vaterlandes sei es eine Mahnung zu absoluter Aufmerksamkeit und Treue gegenüber den subversiven Angriffen auf unsere demokratischen und gesellschaftlichen Errungenschaften.



© Stephan Ebers, systemix-media, Gendringen Nederland, 2020